Regie: Eos Schopohl
mit: Sabine Zeininger, Hubert Bail, Katharina von Harsdorf, Sebastian Kalhammer, Dennis Kharazmi, Pascale Ruppel, Robert Spitz
Dramaturgie: Boris Heczko, Ausstattung: Christoph Ammer, Katharina Wohlgemuth, Choreographie: Marie Nüzel, Musik: Ardhi Engl, Regieassistenz: Elina Fernández
Tickets: www.dasvinzenz.de
Koralle Meier ist eine „Private“, die sich großer Beliebtheit bei den Männern (weniger bei den Frauen) eines kleinen bayerischen Dorfes erfreut. Altersbedingt plant sie einen Berufswechsel: Sie will ehrbar werden und ein Gemüsegeschäft mit Stehimbiss eröffnen. Doch diese Veränderung, der für sie existentielle Identitätswechsel, der auch ihre Integration in die bürgerliche Gesellschaft bedeuten würde, wird ihr nicht zugestanden. Denn als Ladenbesitzerin wäre sie eine äußerst unliebsame Konkurrenz für die alteingesessenen Geschäftsleute. Daher soll sie bleiben, was sie ist: „die Hur“. Politische Denunziation ist das wirkungsvollste Mittel, um Koralles Pläne zu durchkreuzen. Koralle Meier will sich rächen und wird dabei selbst zur Denunziantin …
Martin Sperrs Koralle Meier zeigt in einer Parabel, einer Art bayerischem „Dogville“, wie in einer (oberflächlich) harmonischen Dorfgemeinschaft faschistische Verhaltensmuster wirksam werden, um eine Außenseiterin in ihre Schranken zu weisen und am Ende zu beseitigen. Die Figuren gewöhnen sich daran, unmenschliche politische Verhältnisse für ihre eigennützigen Interessen zu nutzen, selbst wenn dies tödliche Folgen hat. Unter diesem Druck wird auch die Hauptfigur Koralle Meier vom Opfer zur Täterin, bevor sie am Ende aufbegehrt.
„Die Außenseiter sind nicht besser als ihre Jäger“, schreibt Martin Sperr. „Ihre Haltung wird bestimmt durch den Ausschluss aus der Gemeinschaft, zu der sie gerne gehören würden. Kaum ist einer wieder in die Gemeinschaft aufgenommen, macht er Jagd auf den anderen und richtet sein Verhalten nach den Normen der Gruppe.“
Dennoch: Koralle verkörpert eine urwüchsige Vitalität, die sie am Ende zu ihrem ursprünglichen Gerechtigkeitsempfinden und ihrer Empathie zurückfinden lässt.
Mit scharfer, greller und abgründiger Komik geht Martin Sperr in seiner „Koralle Meier“ vor. In Zeiten, in denen faschistische Tendenzen wieder salonfähig werden und die Jagd auf Randgruppen, Fremde und Außenseiter:innen nicht zuletzt in Sprache und Ausdruck alltäglich ist, lässt sich Martin Sperrs „Koralle Meier“ als dystopisches, alptraumhaftes Märchen neu erzählen.
Martin Sperr zeigt, wie schnell sich die heile Welt der Dorfgemeinschaft zum Alp entwickelt, „wie Überzeugungen und Ideologien gerade dann, wenn sie eigentlich durch die objektive Situation nicht mehr substantiell sind, ihr Dämonisches, ihr wahrhaft Zerstörerisches annehmen, und wie trügerisch es ist, sich im Lichte des Erreichten zivilisatorisch in Sicherheit zu wiegen.“ (Adorno: Studien zum autoritären Charakter)