Die Micro Oper München mit der Sängerin Cornelia Melián, der Pianistin Masako Ohta, dem Noise- und Video-Künstler Anton Kaun und dem Komponisten und Elektronikmusiker Ernst Bechert hat sich durch John Cages 90 „Solos for Voice“ gearbeitet und bringt nun die experimentellen Konzeptstücke des Altmeisters auf die Bühne. Welche Regeln gelten? Wie steht es um Freiheit und Verantwortung? Was kann und darf Musik sein? Welche Rolle spielt der Zufall? Überraschungen sind garantiert.
Mit
Cornelia Melián: voice, objects | Masako Ohta: prepared piano, objects | Ernst Bechert: electronics, voice | Anton Kaun: noise, electronics, video | Martina Veh: outside eye
Die Song Books von John Cage
Die Song Books von John Cage, 1970 geschrieben, sind eine Sammlung von 90 „Solos for Voice“. Die Stücke sind Songs oder theatralische Aktionen oder eine Mischung aus beidem, häufig mit Einbeziehung von Elektronik. Die Partituren sind experimentell: Konventionelle Notenschrift kommt eher selten vor, überwiegend sind es grafische Partituren, Anordnungen von Zahlen, unterschiedliche Typographien, verbale Anweisungen zu bestimmten Aktionen. Es gibt zwar zu jedem Stück Regeln, wie die Partitur zu verstehen ist, aber dennoch muss immer zuerst eine spielbare Fassung erstellt werden. Denn die Regeln und Notationen sind eher Konzepte als Partituren, sie ergeben keine eindeutige musikalische Version. Die Interpret*innen müssen eigene Entscheidungen fällen: über den Klang, das Timing, die musikalische oder theatralische Aktion selbst. Sie können ihre eigenen Assoziationen, Phantasien und Improvisationen einfließen lassen. Die Rollen des Komponisten und der Interpret*innen werden also neu definiert. Und weil es so scheint, als sei alles möglich, wird auch das Verhältnis von Regeln und Freiheit neu verhandelt. Die Interpret*innen übernehmen Verantwortung – gegenüber dem Komponisten, der ihnen bewusst diese Freiheiten gelassen hat, aber auch gegenüber sich selbst.
Cage, Satie und Thoreau
Es gibt ein Thema, das sich durch die Song Books hindurchzieht: „Wir verbinden Satie mit Thoreau“ steht auf Seite 1 der Partitur. Erik Satie, der unkonventionelle Außenseiter, schrieb sowohl populäre Chansons wie auch experimentelle Stücke (z.B. die „Vexations“, die 840 Mal zu wiederholen sind), und einige seiner ironischen Bemerkungen sind Texte für die Songs der Song Books. Viele andere Texte stammen von Henry David Thoreau, dem Autor von „Walden“ und Vordenker des gewaltlosen zivilen Ungehorsams, der die Eigenverantwortung des Individuums als besonders hohen Wert schätzte. Auch hier geht es also um das Verhältnis von Regeln und Freiheit.
Individuelle, sich kreuzende Wege
Die vier Musiker*innen der Micro Oper haben jeweils für sich eine Auswahl aus dem Konvolut der Song Books getroffen und verfolgen nun individuelle Pfade durch diesen großen Bau. Die Sängerin Cornelia Melián, die Pianistin Masako Ohta, der Noise- und Videokünstler Anton Kaun, der Komponist und Elektronikmusiker Ernst Bechert haben ganz unterschiedliche Ansätze, die Stücke von Cage zu interpretieren. Doch immer wieder kreuzen sich die Wege. Die Kabel der Mikrophone, die in die elektronischen Devices münden, verbinden die Musiker*innen wie Nervenbahnen. Der Zufall spielt eine große Rolle. Überraschungen sind garantiert.
Die Micro Oper München
versteht sich als Labor für inszenierte Musik, interdisziplinäre Musikversuche und als Schmelztiegel unterschiedlicher Künste. Sie schafft zeitgenössisches Musiktheater ohne Millionenetat und fernab vom Mainstream. Spielräume findet sie auf renommierten Plattformen für Neues Musik, auf Festival-Bühnen, in der Off-Szene und an großen Häusern, in München, deutschlandweit und international.
Cornelia Melián
liebt musikalische Grenzgänge, singt alte und neue Musik und pendelt zwischen Musikexperiment und Musiktheater. Als Herz und Kopf der Miro Oper München ist sie Ideengeberin, Produzentin, Organisatorin und ausführende Künstlerin in Personalunion und bildet mit jeweils unterschiedlichen Gästen das Epizentrum eines kleinen aber feinen Apparats, der mit theatral-akustischen Querschlägen ein Jahrhunderte altes Genre erneuert, immer am Puls der Zeit. www.micro-oper.de
Masako Ohta
wuchs in Tokyo auf und lebt seit 1985 in Deutschland. Die Pianistin und Komponistin arbeitet im Bereich der klassischen und Neuen Musik, der Improvisation und Film -und Theatermusik. Sie beschäftigt sich mit Poesie, Klang, Musik der Welt und kreiert interkulturelle und interdisziplinäre Projekte. Ihre Klaviersoloalben „Poetry Album“ (2018), „My Japanese Heart“ (2020, Winter & Winter) und das Duoalbum „Mmmmh“ mit dem Trompeter Matthias Lindermayr (2022, Squama Recordings) wurden international hochgelobt. www.masako-ohta.de
Ernst Bechert
komponiert Orchesterstücke, Musiktheater, experimentelle Kammermusik mit Elektronik, Theatermusik für über 100 Inszenierungen und Filmmusik. Er hat mit Heiner Goebbels, Marc Ribot, Riccardo Chailly, Christian Wolff und vielen anderen zusammengearbeitet. Das Festival für experimentelle Musik „klub katarakt“ in Hamburg hat er mitgeleitet. Zusammen mit kongolesischen Kollegen baut er seit 2018 in Brazzaville/Kongo ein Jugendorchester auf. www.ernstbechert.de
Anton Kaun
ist Video- und Noisekünstler und produziert seit über 20 Jahren unter seinem Pseudonym „Rumpeln“ audiovisuelle Live-Performances, Veröffentlichungen und installative Arbeiten. Als Visual Artist verbindet ihn eine langjährige Zusammenarbeit mit Musikern wie The Notwist, Tied and Tickled Trio, Slut/Juli Zeh. Für etliche Bands produziert er Musikvideos. Er ist Teil des Rohtheaterkollektivs und als Sound-und Videokünstler für Theaterproduktionen der freien Szene sowie an Stadt- und Staatstheatern tätig. www.antonkaun.de
Martina Veh
ist Regisseurin für Musik- und Sprechtheater sowohl an Staatlichen Theatern als auch in der sog. „Freien Szene“. In den Grenzbereichen der bildenden und darstellenden Künste fühlt sie sich zu Hause, da sie von der Musik (piano) und Tanz über die Architektur (TUM) zur Theater-Regie (Theaterakademie August Everding) gelangte. Das Entwickeln neuer Stücke liegt ihr besonders am Herzen, auch wenn sie in den letzten Jahren viel Repertoire (Mozart/Haendel/Puccini) inszenierte. Mit Cornelia Melián verbindet sie die Neugier und Lust auf das Experiment. www.martina-veh.de