Der Komponist und Pianist Ernst Bechert, seit 1996 ein fester Bestandteil der Micro Oper München, hat in den letzten Jahren immer wieder einzelne Gedichte von Gryphius vertont, stets in Zusammenhang mit Produktionen der Micro Oper München.
In "Gryphius Landschafft " werden diese Kompositionen zusammengefasst, durch weitere neue Textvertonungen ergänzt und zu einem etwa einstündigen konzertanten Abend inszenierter Musik verbunden. In den neu komponierten Teilen verwendet Bechert neben Gryphius-Texten auch Ausschnitte aus Grimmelshausens „Simplicius Simplicissimus“, der den dreißigjährigen Krieg ebenfalls unmittelbar miterlebt hat. Dessen Blickwinkel ist wesentlich direkter und kontrastiert die extremen Gefühlszustände der manchmal fast surrealen Lyrik von Gryphius mit drastischer Realistik. Gemeinsam ist beiden Autoren, dass sie den Krieg nicht aus der Perspektive der Herrschenden beschreiben, die folgenschwere und katastrophale Entscheidungen treffen, sondern aus der Perspektive des einfachen Volkes, das die Folgen dieser Entscheidungen zu tragen hat.
Ergänzend zu den Texten dieser beiden barocken Zeitzeugen wird ein Text aus der Gegenwart verwendet, der ganz unliterarisch ist: eine Liste heutiger Waffensysteme und militärischer Begriffe. Dieser heutige Text steht in starkem Kontrast zu den barocken Texten.
Die Musiksprache des Projekts ist durch mehrere Transformationen geprägt: Die Kompositionen für Singstimme und Begleitung gehen zunächst von barockem Material aus, werden aber durch diverse Kompositionstechniken in ein ganz neues Idiom verwandelt; aus tonaler Musik wird eine zwischen Tonalität und Atonalität schwebende neue Form, die gleichzeitig ungewohnt und doch vage vertraut erscheint. Die klanglichen Möglichkeiten des Sampling-Keyboards und die Klangwelt schlichter Volkslieder aus der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs tragen gemeinsam ein enormes Potential für unterschiedlichste Stimmungen und Ausdrucksqualitäten in sich, das sich in diesem Projekt entfaltet.
Die Live-Elektronik von Gunnar Geisse reagiert auf diese komponierten Strukturen und bettet sie in eine klangliche „Landschaft“ ein. Die Grundstrukturen dieser Landschaft sind komponiert und programmiert, die klangliche Ausformung wird aber live improvisiert. Die Strukturen von "Gryphius Landschafft" erstrecken sich somit vom einfachen monodischen Lied mit einer an Generalbass erinnernden Begleitung bis hin zu dichten Klangflächen, die in heftige Geräuschattacken münden können. Alle diese Elemente werden durch kontinuierliche Übergänge miteinander verbunden.
Zur musikalischen Ebene kommt noch eine Video-Ebene: Anton Kaun montiert historische und heutige Bilder, verfremdet sie digital und live durch Übermalungen. Diese Video- Ebene kontrapunktiert die Texte und folgt ihrem eigenen, unabhängigen Rhythmus.
Die Micro Oper München ist bekannt dafür, dass es auch bei konzertanten Projekten immer theatrale Handlungselemente und ein Bühnenbild gibt. Diese Elemente werden von allen Beteiligten gemeinsam entwickelt. Grundsätzlich ist die gemeinsame Entwicklungsarbeit an neuen Projekten, bei der alle Beteiligten gleichermaßen zum Ergebnis beitragen, ein Charakteristikum der Micro Oper München.
Cornelia Melián und Ernst Bechert verbindet eine über 30jährige Zusammenarbeit, in der bisher 15 Projekte entstanden sind, darunter „Der Schmutz“ als Uraufführung auf der Münchner Biennale für Musiktheater 1996. Gunnar Geisse und Anton Kaun sind ebenfalls seit vielen Jahren im Team der Micro Oper.